Sinti und Roma werden nach einer Studie stark diskriminiert. Nicht wenige Deutsche halten sie gar für unintegrierbar. Ein Drittel lehnt eine historische Verantwortung für die Minderheit ab.0Anzeige
Kürzlich warnte eine Kriminalinspektion in Rheinland-Pfalz vor Taschendieben aus Südosteuropa, „zum größten Teil aus Rumänien, vereinzelt auch aus Bulgarien oder der Slowakei“. Sie bat rund 200 Hoteliers in einer E-Mail „bei Zimmerbuchungen ein Augenmerk darauf zu richten, ob es sich um Personen aus diesen Herkunftsländern handelt“ – und deren Personalien und Pkw-Kennzeichen an die Polizei weiterzugeben.
Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, nennt den Vorfall als Beispiel dafür, dass Abwertungen, Vorurteile und Pauschalisierungen gegen Sinti und Roma in allen Bevölkerungsgruppen anzutreffen seien. „Sinti und Roma werden nicht als gleichberechtigte Mitbürger wahrgenommen“, sagt Lüders.
Die Antidiskriminierungsstelle hatte daher die erste repräsentative Studie in Auftrag gegeben, in der die Deutschen sagen, was sie über Sinti und Roma denken. „Die Ergebnisse sind Zeugnis von dramatischer Unwissenheit und Ablehnung der deutschen Bevölkerung gegenüber Sinti und Roma“, sagt Lüders.
Sinti und Roma die unbeliebteste Minderheit in Deutschland
Sinti und Roma sind laut der Studie allgemein die unbeliebteste Minderheit in Deutschland – in keiner Gruppe sind die Antipathiewerte höher. 17 Prozent der Deutschen halten sie für sehr unsympathisch. Elf Prozent sagen das über Muslime, neun über Asylbewerber.
Eine direkte Nachbarschaft mit Sinti und Roma empfände rund ein Drittel aller Deutschen als eher unangenehm, unangenehm oder sogar sehr unangenehm. Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass Angehörige dieser Gruppe durch ihr eigenes Verhalten Feindseligkeiten in der Bevölkerung hervorrufen würden. 15 Prozent halten Sinti und Roma für kriminell, 14 Prozent für nicht integrierbar, zehn Prozent für faul.
Zudem glaubt fast ein Drittel der Befragten nicht, dass Deutschland eine historische Verantwortung gegenüber Sinti und Roma habe, weil diese in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt worden waren. Zwölf Prozent halten gar ein Denkmal für die damals Ermordeten für unangemessen. Historiker schätzen die Zahl der Sinti und Roma, die den Nationalsozialisten zum Opfer fielen, auf 220.000 bis 500.000 Menschen.
Nicht wenige sind für „gesonderte Unterbringung“
In der repräsentativen Umfrage wurden die mehr als 2000 Teilnehmer auch befragt, wie ein gutes Zusammenleben mit Sinti und Roma erreicht werden könnte: 80 Prozent der Befragten schlugen vor, den Missbrauch von Sozialleistungen zu bekämpfen, 78 Prozent forderten, Kriminalität zu bekämpfen, und die Hälfte meinte, die Einreise von Roma und Sinti sollte beschränkt werden. Jeder Fünfte schlug eine Abschiebung aus Deutschland vor; immerhin 14 Prozent waren für eine „gesonderte Unterbringung“.
Christine Lüders fordert angesichts solcher Aussagen, eine Reihe von Gegenmaßnahmen zu ergreifen: Die Gründung einer Bildungsakademie für Sinti und Roma, mit finanzieller Unterstützung von Bund und Ländern, die Jugendlichen der Sinti und Roma Unterstützung und Stipendien sichert. „Das bisschen Geld muss es Deutschland wert sein, in die Hand zu nehmen“, sagte Lüders. Büffeln statt betteln, müsse das Motto sein. Einen jährlichen Bericht müsse es außerdem geben, der die Diskrimination sichtbar mache. „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem sich Sinti und Roma weiter verstecken müssen“, sagt Lüders.
„Antisemitismus ist in Deutschland geächtet, Antiziganismus genießt weitgehend Narrenfreiheit“, kritisierte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Er warnte davor, Armut an der Abstammung festzumachen. „Die Juden waren zu reich, die Roma sind zu arm.“ Das sei eine unzulässige Pauschalisierung.Anzeige
Viele Roma würde zu Dumpinglöhnen als Feldarbeiter oder auf dem Bau beschäftigt. „Wir wollen festhalten, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen aus Südosteuropa, ob Roma oder nicht, nach Arbeit sucht“, ergänzte Lüders. „Wollen wir soziale Armut etwa durch Bettelverbot bekämpfen? Unsere Innenstädte säubern von allem, was uns unangenehm ist?“
Bundestag soll Expertengremium einsetzen
Eine bessere gesellschaftliche Teilhabe von Sinti und Roma könne etwa auch über eine Teilhabe in den Rundfunkräten gewährleistet werden. Außerdem regte Lüders an, eine entsprechende Arbeitsgruppe in der Kultusministerkonferenz einzurichten. Zudem soll der Bundestag eine Expertenkommission einsetzen, ähnlich dem Expertenkreis Antisemitismus. Das Gremium soll Benachteiligungen von Sinti und Roma bei Bildung, im Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche untersuchen und dem Parlament regelmäßig darüber berichten.
Die Grünen brachten bereits im Juli eine entsprechenden Antrag im Bundestag ein. Im Herbst soll das Parlament darüber debattieren. „Es ist eine Schande, dass rassistische Vorurteile fast 70 Jahre nach dem Völkermord an Sinti und Roma weiterhin derart verbreitet sind“, sagte Tom Koenigs (Grüne), Sprecher für Menschenrechtspolitik, am Mittwoch. „Es ist höchste Zeit, daran etwas zu ändern – in Politik und Verwaltung, in den Schulen.“ Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen des Antiziganismus müssten systematisch untersucht, Wissen über Sinti und Roma vermittelt werden.
Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) nannte die Ergebnisse der Studie alarmierend. „Denn es macht klar, dass die Gleichberechtigung aller europäischen Staatsbürger bei einem großen Teil in der deutschen Bevölkerung nicht verankert ist. Die Roma sind europäische Bürger. Sie sind die größte Minderheit der Europäischen Union mit etwa sechs Millionen Menschen.“ Sie zu diskriminieren komme der Ablehnung des europäischen Gedankens gleich.
Quelle: WELT