Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs. Gemeinde­rat konn­te Be­den­ken nicht zer­streu­en: „Ver­fas­sungs­recht­lich verpöntes abso­lu­tes Bettel­ver­bot“ in der Salz­bur­ger Altstadt

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Juni-Ses­sion meh­re­re Ent­schei­dun­gen zum Bettel­ver­bot in der Salzburger Altstadt ge­trof­fen: Die Ver­ord­nung des Salz­burger Gemeinde­rates vom 20. Mai 2015 betref­fend ein Bettel­verbot hat sich hin­sicht­lich der Altstadt we­gen ihres zeit­li­chen und ört­li­chen An­wen­dungs­bereichs als „ver­fas­sungs­recht­lich ver­pön­tes absolutes Bettelverbot“ er­wie­sen und war gesetz­widrig. Eine Beschwerde be­tref­fend das Bettel­ver­bot am Grünmarkt hat der Gerichts­hof ab­ge­lehnt. Die Rich­terin­nen und Richter haben die Ver­ord­nung aus 2015 von Amts wegen ge­prüft. Anlass war die Beschwerde einer Bettlerin, die we­gen eines Ver­stoßes gegen das Verbot auch des „stillen Bettelns“ be­straft wor­den war. Dieses Ver­bot galt in der Getreidegasse und den an­gren­zen­den Gas­sen bis hin zu Brücken über die Salzach. Mitte 2016 wurde die Ver­ordnung von einer neuen Re­gelung ab­ge­löst, die den räum­lichen Geltungs­bereich neu fest­gelegt hat. (Anm. d. Red.: Das Bettel­verbot wur­de damals deut­lich aus­geweitet.)

Der VfGH hat bereits 2012 festgestellt, dass ein ausnahms­loses Verbot, als „stiller Bettler“ den öffentlichen Raum zu nutzen, gegen den Gleichheits­grundsatz ver­stoße, weil es Men­schen von der Nutzung aus­schließe. Ein derartiges Verbot verstoße außerdem gegen die Freiheit der Meinungsäußerung, die von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird.

Im Erkenntnis vom 28. Juni 2017 stellt der Gerichtshof nun­mehr fest, dass es „zur Ver­meidung eines dro­henden Miss­stan­des er­laubt sein könnte, zur Er­mög­li­chung der Nutzung dieser Straßen­züge – allen­falls neben ande­ren Maßnahmen – ein zeitlich und (auf neuralgi­sche Punkte) örtlich beschränk­tes Verbot auch des ‚stillen‘ Bettelns zu er­las­sen“. Die in Prüfung ge­zogene Regelung ist an­ge­sichts ihres zeit­li­chen (täglich von 8 bis 19 Uhr) und ört­lichen (be­deu­ten­de Teile der Altstadt) An­wendungs­bereichs „mit den vom Ge­meinde­rat der Landes­haupt­stadt Salzburg vor­gebrach­ten Ar­gu­men­ten je­doch sach­lich nicht gerecht­fertigt“.

Dem VfGH lag außerdem die Beschwerde einer anderen Frau vor, die auf Basis der­selben Ver­ordnung wegen Bettelns am Salz­bur­ger Grünmarkt be­straft wor­den war. In diesem Fall (E 1864/2017) lehnten die Rich­terinnen und Richter die Be­hand­lung der Beschwerde allerdings am 14. Juni 2017 wegen anders ge­la­gerter Voraus­setzungen man­gels Aus­sicht auf Erfolg ab.

Entscheidung V 27/2017 vom 28.6.2017 (0.9 MB)
Entscheidung E 1864/2016 vom 14.6.2017 (0.3 MB)

(Text: Pressemitteilung des VfGH, 4.7.2017)