Schwänzer, Schulabbrecher, kaum Hauptschulabschlüsse, noch weniger Abiturienten – die Bildungssituation von Sinti- und Romakindern ist extrem schwierig. Einer der Gründe liegt in dem Misstrauen, mit dem ihre Eltern dem deutschen Schulsystem begegnen. In Hamburg sollen jetzt zehn speziell ausgebildete Frauen und Männer aus den Reihen der Sinti die Familien ihrer Volksgruppe ermuntern, ihre Kinder in Kitas zu schicken.
„Das ist mein Sprungbrett in meinen Traumberuf Betreuer“, sagt Franceso Weiss (27), einer von drei Sinti-Männern, die an der Qualifizierung zum „Kita-Bildungsbegleiter“ teilgenommen haben. Auch Chalina Rosenberg (32) ist stolz, alle Prüfungen bestanden zu haben und in Zukunft in einer Kita zu arbeiten. Die vierfache Mutter sieht sich als Vorbild.
Sinti-Eltern behalten ihre Kinder lieber zu Hause
Die beiden gehören zu den ersten Kita-Bildungsbegleitern für Sinti- und Romakinder, ein Pilotprojekt, das jetzt schon bundesweit auf Interesse stößt. Ihre Aufgabe: Vertrauen schaffen bei den Familien, die ihre kleinen Söhne und Töchter so lange wie möglich zu Hause behalten wollen. Einerseits, weil es so Tradition ist und die Eltern oft selbst keinen Schulabschluss haben. Andererseits, weil sie befürchten, ihre Kinder würden in der Kita diskriminiert, verlernen ihre Sprache, würden der Familie entfremdet.
Wenn unter den Betreuern aber jemand ist, der die eigene Sprache spricht, der weiß, welch zentrale Rolle die Großfamilie für Roma und Sinti spielt, dann ist der Schritt, sein Kind für ein paar Stunden aus den Augen zu lassen, viel leichter.
Dramatische Folgen in der Schule
Für die Kinder hat das tief verwurzelte elterliche Misstrauen, der Hang zur Abschottung, dramatische Folgen: Schon bei der Einschulung hinken Sinti- und Romakinder sprachlich und motorisch ihren früh geförderten Altersgenossen hinterher, Talente verkümmern. „Das kann so nicht weitergehen“, befand Christian Rosenberg (46) bereits 2001 und gründete den „Hamburger Sinti-Verein zur Förderung von Kindern und Jugendlichen“ – gegen große Widerstände in der Gemeinschaft:
„Mir wurde vorgeworfen, ich zerstöre unsere Kultur, die Identität, die Sprache. Es war schwer, das Eis zu brechen.“ Rosenberg, Vater von zwei Kindern, versteht die Vorbehalte: „Jahrhundertelang wurden Sinti und Roma von Bildung ausgeschlossen, im Dritten Reich durften unsere Leute keine Schule besuchen, in der Nachkriegszeit wurden Sinti- und Romakinder mit Malbüchern abgesondert, währen die anderen lesen und schreiben lernten.“
Über Generationen wurde eine Handvoll traditioneller Berufe von den Vätern an die Söhne weitergegeben, Berufe, für die man nicht unbedingt gut lesen oder schreiben können musste. Sinti-Mädchen wurden ja ohnehin Mutter und Hausfrau …
Mit eindringlichen Worten erinnert sich Rosenberg an seinen damaligen Kampf: „Ich habe gesagt, unsere alten Berufe gehen unter, wir dürfen nicht in Selbstmitleid ertrinken, wir dürfen uns nicht abschotten. Wir brauchen eine Reform, und Bildung ist der Schlüssel dazu.“
Die Idee, Sinti und Roma zu Kita-Bildungsbegleitern zu qualifizieren, hat Rosenberg zusammen mit seiner Frau Angelina und seiner Assistentin Dorota Julitz-Jarominska entwickelt. Der Kurs ist staatlich anerkannt, angelehnt an die Ausbildung zur Sozialpädagogischen Assistenz. Zur Abschlussfeier kam Sozialsenatorin Melanie Leonhard nach Osdorf.
Die Kitas reißen sich um die Absolventen, nicht nur wegen der „großen pädagogischen Talente“ (Rosenberg), sondern auch weil die Eltern plötzlich zu Sprechtagen kommen.
Rosenberg hofft, eine Initialzündung ausgelöst zu haben: „Die Kinder, die jetzt in den Kitas sind, werden in zehn Jahren ganz normale Schulabschlüsse machen.“ Absolventin Chalina Rosenberg lächelt. Ihre Tochter geht aufs Gymnasium, schreibt tolle Noten und will einmal Lehrerin werden.
Quelle: MOPO