In Tschechien gibt es Protestmärsche gegen sie, in Ungarn werden sie von der Polizei verfolgt: Europa schafft es nicht, seine schwächsten Einwohner zu schützen. Amnesty International klagt nun an: In diesen Ländern werden die Roma am schlimmsten verfolgt.

Zehn bis zwölf Millionen Roma leben derzeit in Europa. Und sie haben Angst vor Vertreibung, Gewalt und polizeilicher Willkür. Die Regierungen der betroffenen Staaten gucken weg. Europas Schwächste werden allein gelassen. Diese Vorwürfe erhebt ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. In Tschechien verzeichnet die Organisation gewalttätige Protest-Märsche gegen Roma, in Frankreich wird die ethische Minderheit von der Polizei vertrieben, in Griechenland kommt es immer wieder zu Übergriffen.

Das Leben der Roma ist in vielen europäischen Staaten nahezu unmöglich geworden. „Wir beobachten die Entwicklung der zunehmenden Diskriminierung seit Jahren“, sagt Herbert Heuß vom Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland. „Diese Menschen leben ins Slums, zum Teil 1800 mit nur einer Wasserstelle.“ Deutsche Politiker warnen vor dramatischen Folgen der Ausgrenzung – beispielsweise auf dem Wohnungsmarkt oder bei der Ausbildung.

Die wichtigsten Fakten:

  • In nahezu allen europäischen Kulturen ist der Begriff Zigeuner negativ besetzt. Der Stereotyp lautet: „Betteln, Diebstahl oder Schwarzarbeit“. Die Roma werden als störend empfunden. In Deutschland lehnten 2002 58 Prozent der Bundesbürger die sogenannten „Zigeuner“ als Nachbarn ab. Gleiches gilt für 87 Prozent der Slowaken, 75 Prozent der Rumänen und 87 Prozent der Tschechen. In Großbritannien sind es laut einer Umfrage aus den 1990ern 65 Prozent und in Österreich 45 Prozent.
  • Nicht nur in der Bevölkerung herrschen Vorurteile gegen Roma. Sie werden teilweise selbst für ihre Ausgrenzung verantwortlich gemacht. So sagte der neue Premierminister Frankreichs, Manuel Valls, im Jahr 2013: „Diese Leute haben einen Lebensstil, der sich von dem unsrigen extrem unterscheidet. Deshalb sollten sie nach Rumänien oder Bulgarien zurückkehren.“ Das, so Amnesty, bereite den Weg für Diskriminierung und Verfolgung.
  • In Tschechien kam es in den vergangenen Jahren nicht nur zu gewalttätigen Übergriffen auf Roma. 2013 kam es, so Amnesty, zu zahlreichen Märschen und Protesten gegen Roma. Bei den Aktionen versammeln sich teils Tausende, die Roma attackieren und rassistische Parolen schreien. In dem Bericht der Menschenrechtsorganisation wird Michal, ein Roma, zitiert: „Wahrscheinlich ist das genauso wie zur Zeit Hitlers.“
  • Im tschechischen Budweis zogen beispielsweise nach einer Auseinandersetzung etwa 1000 Menschen zu einer Roma-Siedlung und attackierten die Bewohner mit Blendgranaten und Flaschen und setzten Müll in Brand. Die anrückende Polizei wurde ebenfalls angegriffen. Eine Woche später eskalierte die Situation erneut. Nur die Polizei verhinderte schlimmeres. Doch die Stadt kam nicht zur Ruhe. Immer wieder wurden Übergriffe auf Roma verzeichnet. Die Täter wurden nie verfolgt.
  • In Frankreich leben 20.000 Roma in extremer Armut. Ihre Siedlungen haben kein fließendes Wasser, es mangelt an allem. Außerdem leben die Einwohner in der steten Angst vor einer Zwangsräumung durch die Polizei. Beispielsweise in Marseille wo laut Bericht 2013 tausende Roma mit Gewalt aus ihren Siedlungen vertrieben wurden. Dabei sei die Polizei wie in den Jahren zuvor teils äußerst rüde vorgegangen. Bei einem Vorfall im November 2011 hätten Beamte gar Tränengas in Zelte gesprüht, in denen auch Kinder lagen. Die Besitztümer seien dabei zerstört worden, die Menschen zutiefst verstört. Nur einem Bruchteil der Roma seien Ausweichwohnungen zur Verfügung gestellt worden.
  • Von den 250.000 bis 350.000 Roma, die in Griechenland leben, sei nach einer Umfrage von 2008 etwa die Hälfte Opfer von Gewaltverbrechen geworden. Auf der anderen Seite stünden viele Fälle von dokumentierter Polizeiwillkür, die nie behördlich verfolgt wurden. Die Opfer haben Angst, sich an die Polizei zu wenden. Dadurch bleiben viele Fälle unbekannt. Politische Parteien am rechten Rand nutzen die ethische Minderheit für populistische Propaganda. Im Duktus der Rechtspartei Goldene Morgenröte werden Roma wie selbstverständlich als Tiere bezeichnet. „Es ist genug“, sagte eine junge Roma und spricht von einem „Krieg, der gegen uns geführt“ wird.

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Woher kommt dieser Hass? „Es sind die alten Bilder des Bedrohlichen, die immer wieder hervorgeholt werden“, sagt Herbert Heuß vom Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland. Er sieht nun die Staatsregierungen und die EU in der Pflicht, sich um die Minderheit zu kümmern. „Diese Menschen sind integrationswillig. Alle anderslautenden Vorwürfe sind dumm und dreist.“

Die Beispiele zeigen: Die europäischen Staaten sind offenbar nicht gewillt oder in der Lage dazu, Roma zu schützen. So lautet zumindest der Vorwurf vom Amnesty International. Doch Heuß sieht auch bei den Betroffenen selbst Handlungsbedarf. „Roma müssen kraftvoller auftreten, sich an den Diskussionen beteiligen und Projekte wie Wohnungsbauten mit umsetzen und Qualifikationsangebote wahrnehmen. Sie müssen ihr Leben wieder in die Hand nehmen.“

Quelle: Focus