Warum eine gemeinsame Erklärung gegen Hass jetzt doch nicht zustande kommt.
Der Bundestag will an diesem Freitag eine Erklärung verabschieden, jeder Form des Hasses gegen Sinti und Roma entschlossen zu begegnen. Dieses Willensbekenntnis möchte die Mehrheit der Fraktionen in der Anwesenheit des Vorsitzenden des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, abgeben – eine wichtige Geste.
Das Bild der Geschlossenheit hat sich jedoch getrübt, seit aus dem ursprünglich vereinbarten gemeinsamen Antrag der Koalitionsfraktionen, der Grünen und der FDP sowie eines wortgleichen Antrags der Linken nichts mehr wird. Freitag stimmen die Abgeordneten nur noch über zwei ähnlich lautende Anträge von CDU/CSU und SPD auf der einen sowie Grünen, Linken und FDP auf der anderen Seite ab.
Hintergrund ist der in jeder Wahlperiode erneuerte Unvereinbarkeitsbeschluss, wonach die Union grundsätzlich keine gemeinsamen Anträge mit Linken oder AfD stellt. Die Grünenfraktion wollte in der Frage eines Bekenntnisses gegen den Antiziganismus die Linken jedoch nicht allein lassen und entschloss sich, den gleichen Antrag zweimal zu stellen: einmal mit Koalition und FDP sowie einmal mit den Linken. Ungewöhnlich, aber möglich.
Da die Union diese Verbindung aber ablehnt, wurden zunächst die Grünen vom gemeinsamen Antrag verbannt, dann auch die Freidemokraten. Letzteres offenbar, weil die SPD nach dem Wegfall der Grünen auf einen reinen GroKo-Antrag pochte.
FDP und Grüne sind unzufrieden
FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae ist extrem verärgert. „Das ist ein schlechtes Signal an die Sinti und Roma in Deutschland“, sagte Thomae dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Bei solch einem Thema sind parteipolitische Befindlichkeiten hintenan zu stellen.“
Die Grünen sind ebenfalls unzufrieden mit dem Ergebnis. Die Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik, Filiz Polat, weist darauf hin, dass sich der Zentralrat der Sinti und Roma eine interfraktionelle Initiative gewünscht hatte. „Im Koalitionsantrag fehlt die Selbstverpflichtung des Bundestags, gegen den Antiziganismus genauso kompromisslos vorzugehen wie gegen den Antisemitismus“, sagte Polat.
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Die Christdemokraten werfen den Grünen hingegen vor, die Linkspartei im Bundestag koalitionsfähig machen zu wollen. „Wichtiger als die Sache scheint den Grünen der Schulterschluss mit der Linkspartei zu sein“, sagte CDU-Fraktionsvize Thorsten Frei. „Unser Anliegen war es, ein starkes Signal an den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zu senden“, so Frei. „Wir waren deshalb bemüht, das Thema aus dem Streit der Fraktionen herauszuhalten und einen Konsens zwischen CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen herbeizuführen, wie uns das auch schon beim Antrag zur Bekämpfung des Antisemitismus gelungen ist.“
Die Linken wiederum werfen der Koalition unreifes Verhalten vor. Der erste Parlamentarische Geschäftsführer, Jan Korte, nennt die Situation in einem persönlichen Brief an SPD-Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles („Liebe Andrea“) ein haarsträubendes Ergebnis. Es würde nun abgestimmt über zwei Anträge von Fraktionen, die sich eigentlich im Anliegen einig seien. „Sie werden getrennt von einer Fraktion, die aus antikommunistischer Brauchtumspflege das demokratische Spektrum spaltet und einer Fraktion, die sie dabei unterstützt – und das seid ihr.“
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In den Anträgen begrüßen die Fraktionen, dass der Bundesinnenminister nach Konsultationen mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ein Expertengremium einsetzen will, um bis 2021 eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen des Antiziganismus zu erstellen. Aus den Ergebnissen der Kommission sollen zum Beispiel Handlungsempfehlungen für die historisch-politische Bildungsarbeit gegen den Antiziganismus und die Wirkung von Gedenkstätten abgeleitet werden.
Mehr antiziganistische Übergriffe
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 63 Straftaten gegen Sinti und Roma erfasst. Darunter waren den vorläufigen Zahlen zufolge sieben Gewaltdelikte, wie aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht. Bis zum 31. Januar wurden 36 Tatverdächtige ermittelt. Im Jahr 2017 waren , nach früheren Angaben des Bundesinnenministeriums, 41 antiziganistsiche Straftaten gemeldet worden.
Der Politologe Bernd Grafe-Ulke sieht Sinti und Roma zunehmender Diskriminierung ausgesetzt. Zwar seien sie als eine der vier nationalen Minderheiten in Deutschland anerkannt, „in den vergangenen Jahren wurden Sinti und Roma aber deutlich stärker zur Projektionsfläche von Hass und Gewalt“, sagt Grafe-Ulke. Das gelte nicht nur in Deutschland. „In manchen Westbalkan- und EU-Staaten sind teils schon pogromartige Übergriffe zu beobachten.“ Grafe-Ulke leitet in der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Celle das Projekt „Kompetent gegen Antiziganismus und Antiromaismus – in Geschichte und Gegenwart“. (kna/epd/FR)
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