Etwa 140.000 Roma leben Schätzungen zufolge in Italien. Schon lange wird diese Minderheit diskriminiert. Nun hat sich ihre Lage verschärft. Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega Nord will alle Roma-Camps in Italien auflösen. Doch es formiert sich Widerstand.
Mit dem Fuß schiebt Senada Scherben und Plastikmüll beiseite, klettert vorsichtig über den löchrigen Boden des Wohnwagens, der bis vor kurzem noch ihr Zuhause war: „Sie haben gesagt, sie würden den Wagen woanders hinbringen, aber sie haben ihn stattdessen zerstört. Das war die Küche. Hier haben wir gekocht. Dahinten da war das Bad und hier ist die Dusche.“
Mit Baggern sind die römischen Behörden angerückt, und haben die Container und Baracken entkernt, Wasser und Strom abgestellt und die gesamte Roma-Siedlung so Stück für Stück unbewohnbar gemacht. Seit einem Monat schon schläft die 38-Jährige mit ihren zehn Kindern im Freien, auf einer Matratze deren ursprüngliche Farbe nur noch zu erraten ist.
Als ihr jüngster Sohn, der zwei Monate alte Guido weint, legt sie ihn dort zum Stillen an: „Sie behandeln uns wie die Tiere. Sogar schlechter. Wir haben noch nicht mal mehr ein Dach über dem Kopf. Das kriegt Raggi nicht in ihren Kopf. Sie hat doch selbst ein Kind. Und dieses hier, wo schickt sie das hin? Und all die anderen?“
Dorf am Rande Roms
43 Familien haben hier bis vor kurzem gelebt, 430 Menschen, darunter fast 200 Kinder – die Hälfte ist geblieben, am nördlichen Stadtrand Roms, im „River Village“. So steht es in großen Buchstaben über dem Eingangstor. Dabei sind die Zeiten, in denen das eine Ferienanlage war, lang vorbei. Das Grundstück ist in Privatbesitz, die Stadt hat das Camp bislang finanziert. Doch jetzt müssten seine Bewohner verschwinden, aus hygienischen Gründen, wie es heißt. Ein Vorwurf, den der Mann, den hier alle nur Darko oder Chef nennen, bestreitet. Denn das Chaos, das habe die Stadt erst angerichtet: „Das war das einzige Camp, das offiziell war, in dem es hygienische sanitäre Anlagen gab, Wasser, Licht – das war alles da und hat funktioniert, nicht wie in anderen Camps.“
Innenminister will alle Roma zählen lassen
Geht es nach Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega würden alle Roma-Camps in Italien geräumt, die Menschen aus dem Land geworfen. Dafür will er sie vorher zählen lassen. Ein sogenannter Zensus, den auch in Italien viele an düstere Zeiten erinnert, als die Nazis die Sinti und Roma erst registrierten und dann vergasten.
Ein neues Klima der Fremdenfeindlichkeit – so kommt das im River Village an: „Es hat sich sehr verändert. Sehr zum Schlechteren. Ein Desaster. Nicht nur weil wir Roma sind, fast alle Migranten. Diese Politik, die wirft uns 20 Jahre zurück. 20 Jahre!“
Der 55-Jährige ist einer von schätzungsweise 140.000 Roma im Land. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Intoleranz gegenüber der Minderheit größer. Sehr belastend sei das, die vielen Vorurteile, die Anfeindungen. Aber wegschicken lassen, wollen sie sich im River Village nicht – auch nicht mit dem Geld, das ihnen die Stadt geboten hat. Wohin auch?
„Ich bin hier geboren worden. 1973 in Italien. Meine Kinder sind hier geboren, nicht in Bosnien. Unsere Kinder sind italienische Staatsbürger. Sie gehen hier zur Schule. Sie haben italienische Pässe.“
Wohin sie jetzt sollen, das ist noch unklar. Bürgermeisterin Virginia Raggi von der Fünf-Sterne-Bewegung will Frauen und Kinder in sozialen Einrichtungen unterbringen, für die Ehemänner und Väter gibt es keinen Plan. Die Idee, sich selbst Wohnungen zu suchen und dabei finanziell von der Stadt unterstützt zu werden scheiterte in der Vergangenheit daran, dass kaum jemand an Roma-Familien vermieten wollte. Jetzt getrennt zu werden, das will sich hier niemand gefallen lassen.
Die Bewohner des Roma-Camps am Stadtrand von Rom diskutieren über die aktuelle Lage (Deutschlandradio / Sarah Zerback)
„Wir können nicht auf die Straße. Da wird das Feuer eröffnet, da werden unsere Kinder umgebracht. Habt ihr das in Salone gesehen. Da haben sie ein kleines Mädchen von 15 Monaten angeschossen, getroffen an der Wirbelsäule, sie wird wahrscheinlich zu 90 Prozent gelähmt bleiben.“
Anwalt unterstützt Camp-Bewohner
Nachrichten wie diese machen Marcello Zuinisi wütend. Fast täglich ist der Anwalt im River Village – lässig in T-Shirt und Jeans. Er engagiert sich seit Jahrzehnten für die Rechte der Roma und findet, die Stadt tue nicht genug, um sie zu schützen. Er hat sogar darüber nachgedacht, Bürgermeisterin Raggi zu verklagen. Den Widerstand der Camp-Bewohner unterstützt er.
„Die Kinder und Personen im Camping River werden von jetzt an demonstrieren. Dieses Mal nicht davor, sondern drinnen, permanent. Hier haben wir eine Barrikade errichtet.“ Wild gestikulierend, fast immer ein Telefon am Ohr.
Wochenlang musste er auf einen Termin bei der Behörde warten. Dann folgte die offizielle Räumungsklage – seitdem pendelt er ständig zwischen Peripherie und Präfektur hin und her und versucht noch im letzten Moment zu verhindern, dass das Gelände komplett geräumt wird.
„Wir würden eher sterben, um den Rechtsstaat und unsere Freiheit zu verteidigen als geräumt zu werden und wie die Mäuse unter Brücken zu schlafen. Soll doch Virginia Raggi dort schlafen. Matteo Salvini, ich sage dir klar und deutlich: Zuerst hast du gesagt, dass du einen ethnischen Zensus willst und jetzt sagst du, dass du 40.000 Rom ausweisen willst. Wir erwarten dich hier, Salvini wenn du ein Mann bist, wenn du mutig genug bist. Wir erwarten dich, komm mit wem du willst. Ciao Salvini.“
Doch statt Salvini und Raggi, ist inzwischen die Polizei angerückt, mit weiteren Transportern.
Quelle: Deutschlandfunk