Lissabon (dpa) – Dem auch über Parteigrenzen hinweg beliebten Staatsoberhaupt Marcelo Rebelo de Sousa ist in Portugal die triumphale Wiederwahl gelungen – doch Zeit zum Feiern gibt es in dem besonders hart von der Corona-Krise gebeutelten Land nicht.
Das stellte der volksnahe „Presidente dos afetos“, der „Präsident der Zuneigung“, in seiner Siegesrede in der Nacht zum Montag unmissverständlich fest.
Der Kampf gegen die Pandemie, die das Urlaubsland derzeit im Würgegriff hat wie kaum ein anderes in Europa, sei „nun das Allerdringendste“, rief der 72 Jahre alte konservative Politiker den Portugiesen entgegen. „Das ist mein, euer, unser aller Auftrag!“ Das Gesundheitssystem sei wegen der drastisch steigenden Infektionszahlen „dramatisch bedroht“, warnte er.
Bei der Präsidentenwahl am Sonntag war der frühere Jura-Professor und Fernsehjournalist mit 60,7 Prozent der Stimmen für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt worden. Er errang damit fast neun Prozentpunkte mehr als bei seinem ersten Sieg vor fünf Jahren.
Das Staatsoberhaupt hat in Portugal relativ viel Macht. Der Präsident kann sowohl sein Veto gegen Gesetze einlegen als auch das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Für Portugal war es die zehnte Präsidentenwahl seit der Nelkenrevolution von 1974.
Wie die nationale Wahlbehörde nach Auszählung von mehr als 99,9 Prozent der Stimmen mitteilte, landete die Kandidatin Ana Gomes von der Sozialistischen Partei (PS) von Ministerpräsident António Costa mit knapp 13 Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei. Sie hatte allerdings nicht die Unterstützung ihrer Partei genossen, da Costa sich mit Rebelo de Sousa politisch ungewöhnlich gut versteht.
Im Schatten der Pandemie ließ die Abstimmung vom Sonntag eine weitere Bedrohung für die politische Stabilität des Landes auftauchen. Der Chef der rechtspopulistischen Partei Chega! (Es reicht!), André Ventura, erreichte mit knapp 11,9 Prozent ein unerwartet gutes, fast schon sensationelles Ergebnis. Die erst vor knapp zwei Jahren gegründete Partei hatte sich bei der Parlamentswahl im Herbst 2019 noch mit 1,3 Prozent begnügen müssen.
Der Erfolg des 38-jährigen Newcomers lässt in Portugal die Alarmglocken schrillen. Ventura hatte etwa mit der Forderung, im Kampf gegen das Virus gezielt Angehörige bestimmter Minderheiten wie Sinti und Roma von der restlichen Bevölkerung zu separieren, Empörung auslöst. Vertreter der übrigen Parteien und andere Politikexperten sprachen von einer großen Gefahr. Ohne Ventura zu erwähnen, versprach Rebelo auch einen „Kampf gegen Extremismus“.
Neben dem Höhenflug der Rechtspopulisten prägt aber vor allem die dramatische Zuspitzung der Corona-Krise die Schlagzeilen in und über Portugal. Das EU-Land, ein beliebtes Reiseziel deutscher Urlauber, wurde von der Bundesregierung gerade zum Corona-Hochrisikogebiet erklärt. Die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen lag zuletzt bei etwa 750. Das ist einer der höchsten Werte weltweit, bei zudem deutlich steigender Tendenz. Zum Vergleich: In Deutschland lag die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz zuletzt knapp über der 100er-Marke.
Die vom Portal „Our World in Data“ zusammengetragenen Zahlen der renommierten Johns-Hopkins-Universität zeichnen ein noch düsteres Bild: Demnach ist die Entwicklung bei den Neuinfektionen in Portugal so besorgniserregend wie nirgendwo sonst auf der Welt. Ein trauriger Rekord jagt zurzeit den nächsten: Mit 675 Todesopfern binnen 24 Stunden meldeten die Gesundheitsbehörden in Lissabon am Sonntag einen neuen Höchstwert.
Wegen der Pandemie hatten zahlreiche Politiker und andere Prominente eine Wahlverlegung gefordert. In einer von der Wochenzeitung „Expresso“ in Auftrag gegebenen Umfrage hatten sich 57 Prozent der Teilnehmer für eine Verlegung ausgesprochen. Viele Wähler blieben wohl auch aus Angst vor dem Virus zu Hause: Die Wahlbeteiligung erreichte mit knapp 40 Prozent einen Minusrekord.
Rebelo de Sousa, der seit 2016 im Amt ist, gilt als extrem volksnaher Politiker, der auch als Staatsoberhaupt die Menschen auf der Straße gern umarmt, küsst und tröstet. Mitunter tritt er auch als tatkräftiger Helfer in Erscheinung: Im August stürzte sich der drahtige Katholik an der Algarve kurzentschlossen ins Meer, um bei der Rettung zweier Frauen zu helfen, deren Kajak gekentert war.
Aber nicht nur solche Aktionen sind es, die Rebelo de Sousa Anerkennung und Ansehen verschaffen. Ihm wird zudem hoch angerechnet, dass er als konservativer Politiker die linke Regierung von Ministerpräsident António Costa nicht nur kritisiert und kontrolliert, sondern auch unterstützt. Er legt viel Wert auf die politische Stabilität des Landes. Die Zusammenarbeit zwischen ihm und Costa klappte bisher nahezu reibungsfrei. Die Portugiesen setzen darauf, dass das Duo im Kampf gegen Corona und die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie Erfolg hat.
Quelle: dpa