„Auch Menschen, die betteln, dür­fen sich or­ga­ni­sie­ren!“ — Die Bettellobby Tirol fordert, die Hetz­jagd auf bet­teln­­de Men­­schen zu be­­enden

Bettellobby Tirol: Verstärkt werden von Armut be­trof­fene Men­schen in Innsbruck, die im öffent­li­chen Raum um Almosen bitten, zur Ziel­scheibe von Schwer­punkt­aktio­nen der Polizei. „Bei der Aktion scharf ge­gen Bettler wurden seit Mai 53 Per­so­nen angezeigt“, heißt es in einem Ar­ti­kel der Tiroler Tages­zeitung vom 30.6.2017. In dem Artikel ist von einem gut geklei­de­ten Bettel­organi­sator die Rede, der die Erlöse ein­kas­siert haben soll. Wir kön­nen derzeit nicht be­urtei­len, in­wie­fern der so­ge­nannte Or­ga­ni­sa­tor Geld ein­ge­sam­melt hat. Fest steht, dass es nicht ver­boten ist, 300 Euro zu ver­wahren, wie im Bericht an­geführt wird. Eben­so wenig ist es ver­boten, sich – wie be­tont – gut zu kleiden. Warum wird im Zusammenhang mit bettelnden Men­schen stän­dig ab­ge­spro­chen, hervor­gehoben und als ver­dächtig gewertet, was in der Mehr­heits­gesellschaft als etwas ganz Selbst­ver­ständ­li­ches und nicht zu Hinter­fra­gen­des gilt?

Unseren Erfahrungen nach han­delt es sich bei den bet­teln­den Men­schen in Innsbruck viel­fach um Familien­an­ge­hö­rige und Ver­wandte, die ge­mein­sam das Geld ve­walten und es vor der Polizei in Sicher­heit brin­gen, damit es ihnen nicht ab­ge­nom­men wird. Ver­mehrt berich­ten bettelnde Menschen in letzter Zeit, dass ihnen Geld und Gegen­stände von der Polizei ab­genom­men werden. Die Polizei ar­gu­men­tiert, diese als Sicher­heits­leis­tung auf­grund unrecht­mä­ßi­gen Bettelns ein­zu­fordern.

Dass die Bettlerszene in Innsbruck zumin­dest teil­weise orga­ni­siert ist, zeige ein weiterer Um­stand, so der Bericht: „Wenn wir beispiels­weise Leute wegen aus­stän­di­ger Strafgelder zum Ver­büßen des Ersatz­arrestes ins Polizei­anhalte­zentrum brach­ten, wur­den sie aus­gelöst“, schil­dert Kirchler [Stadt­polizei­komman­dant]: „Schon nach kurzer Zeit war einer da und hat die 500 Euro be­zahlt.“ Was man auch gegenseitige Unterstützung nennen könn­te, wird hier als Indiz für orga­nisier­tes Betteln ge­wer­tet. Ja, Betteln ist viel­fach organi­siert – in dem Sinne, dass sich Men­schen aus eige­ner Initia­tive auf den Weg machen und selbst­orga­ni­siert an­reisen –, teils in Fahr­gemein­schaften, um sich die Kosten zu teilen. Bettelnde Men­schen sprechen sich ab, welche Plätze zum Betteln den Um­ständen ent­spre­chend beson­ders attrak­tiv und ertrag­reich sind – schließ­lich geht es darum, sich und ihre Familien über Was­ser zu halten.

Bettelnde Menschen verbringen gemeinsam Pausen und be­sorgen für­einan­der eine Jause, um neue Kräfte zu sam­meln für den harten Alltag auf der Straße. Sie dürfen Kaffee trin­ken, Zigaret­ten rauchen, und tele­fo­nie­ren, auch wenn ihnen all das allzu gerne allzu oft ab­gespro­chen wird. Sie über­nachten gemein­sam, um sich sicherer zu fühlen. Sie helfen sich gegen­seitig in Not­situa­tio­nen aus, um bei­spiels­weise zu ver­hin­dern, eine Ersatz­frei­heits­strafe im Polizei­anhalte­zentrum ver­büßen zu müssen. Bettelnde Men­schen halten oft zu­sam­men, wenn es hart auf hart kommt, auch wenn die Kon­kurrenz groß ist, armuts­betrof­fene Men­schen zu­neh­mend gegen­einander aus­gespielt werden, gesetz­liche Rahmen­bedin­gun­gen streng ausgelegt werden, es immer schwie­riger wird, für das eige­ne (Über-)Lebens­not­wendige auf­zu­kommen.

In der Praxis bleibt wenig Spielraum für er­laub­tes Betteln, das der Ver­fas­sungs­gerichts­hof im Jahr 2012 als unter das Recht auf freie Mei­nungs­äuße­rung fal­lend er­klärt hat. Men­schen, die anders­wo ihr Glück ver­suchen und auf­grund man­geln­der Alter­nati­ven ihre Hand auf­halten müs­sen, wird gewerbs­mäßiges Betteln vor­ge­wor­fen, auch wenn sie sich in einer Notlage be­fin­den. Was eigentlich erlaubt ist, nämlich „stilles Betteln“, wird para­do­xer­weise zur Straftat, wenn es mehr­mals recht­mäßig statt­findet. So be­trifft der Groß­teil der Strafen, von dem im Artikel die Rede ist, Men­schen nur auf­grund der Tat­sache, dass sie mehr­mals recht­mäßig gebettelt haben. Das spricht für sich und lässt die Schluss­fol­ge­rung nahe, dass es vor allem darum geht, sicht­bare Armut aus dem Blick­feld der Gesell­schaft zu ver­ban­nen. Letzt­end­lich führt diese Politik der Bestrafung dazu, dass sich die Not­lage der Men­schen, die zum Miss­stand und öffent­li­chen Stör­faktor er­klärt wer­den, wesent­lich ver­schlimmert.

(Text: Bettellobby Tirol)