Ein Angriff eines 16-Jährigen auf einen Jungen in Polen hatte ungeahnte Konsequenzen. Weil der Täter den Roma angehört, formt sich Protest gegen die etwa 140 in der 20 000 Einwohner-Stadt lebenden Roma. Kein Einzelfall.
Es war nur ein vergleichsweise kleiner Zwischenfall: Ein 16-jähriger, der einem 13-jährigen Prügel androhte, wenn der ihm nicht sein Fahrrad überließ. Doch der ältere Junge war ein Roma – und der Angriff auf den 13-jährigen in der südpolnischen Kleinstadt Andrychow hatte ungeahnte Konsequenzen: Innerhalb weniger Tage bildete sich Anfang September ein Protestkomitee und organisierte eine Unterschriftensammlung, mobilisierte im Internet gegen die etwa 140 in der 20 000-Einwohner-Stadt lebenden Roma.
1500 Facebook-Fans in 24 Stunden
Bis Jahresende sollten die ungeliebten Mitbürger aus der Stadt verschwinden, forderten sie. Die Facebook-Seite der Wutbürger hatte innerhalb von 24 Stunden rund 1500 Fans, berichteten lokale polnische Medien. Inzwischen hat Facebook die Seite wegen rassistischer Äußerungen gesperrt, ebenso wie eine Nachfolgeseite. Die Staatsanwaltschaft prüft mittlerweile, ob die Äußerungen als Aufruf zum Hass strafrechtlich verfolgt werden.
Bürgermeister Tomasz Zak versucht die Wogen zu glätten, fordert mehr Polizeipatrouillen vor allem im Stadtzentrum. Gleichzeitig betont er: „In der Polizeistatistik sind die Roma nicht stärker vertreten als andere. Sie fallen nur äußerlich mehr auf.
„Anti-Roma-Mauern“ in der Slowakei
Gerard Linder, als „Black Dragon“ erfolgreicher Kick-Boxer und Präsident der Roma-Vereinigung „Jamaro“, sieht alle Roma durch die Internet-Aktion verunglimpft. „Da wurden Grenzen überschritten“, sagt er. In der Roma-Gemeinschaft von Andrychow wachse die Angst, den Worten in sozialen Medien könnten womöglich Taten folgen.
Während in Andrychow und anderen Orten in Polen mit einer größeren Roma-Bevölkerung die „Cygany“ häufig Misstrauen und Ablehnung erleben, blockieren in der benachbarten Slowakei in mehreren Städten Mauern und Zäune den Zugang von Roma-Siedlungen in angrenzende Wohnviertel. Die Tageszeitung „Sme“ listete im Juli insgesamt 14 solcher „Anti-Roma-Mauern“ im ganzen Land auf. Als Argument für die Barrieren dient stets der „Schutz vor Kriminalität“.
Kein fließendes Wasser, keine Toiletten
Viele slowakische und polnische Roma sind Analphabeten, arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen. Da trotz Schulpflicht längst nicht alle Kinder in die Schule gehen – teils aus Angst vor Diskriminierung, teils aus Angst vor Assimilierung – ist der Weg der nächsten Generation ins Elend geradezu vorprogrammiert. Die Lebensverhältnisse in den Roma-Siedlungen vor allem in der Ostslowakei erinnern mehr an Slums in der Dritten Welt als an Dörfer in der Europäischen Union: Bretterbuden mit Wellblechdächern, kein fließendes Wasser, keine Toiletten. Mehr…
Quelle: Focus Online