Der rechtsextreme Bürgermeister einer Gemeinde bei Budapest lässt Roma in bewachten Kolonnen arbeiten. Er setzt damit ein Beschäftigungsgesetz um.

Von Marco Schicker

Ziel der ungarischen Regierungspolitik sei es, die Roma zu vertreiben: Das Urteil von Ungarns parlamentarischem Ombudsmann für Minderheitenrechte, Ernö Kallai, ist eindeutig. Sein Amt wird jetzt abgeschafft, Kallais letzte Amtshandlung ist ein Bericht über die Situation der Roma im Land.

Sein Fallbeispiel sind die Zustände in der Gemeinde Gyöngyöspata, eine Autostunde nordöstlich von Budapest, die vergangenes Jahr durch Neonazi-Aufmärsche traurige Bekanntheit erlangte. „Bürgerwehren“ gegen Roma patroullierten wochenlang, brachen das Gewaltmonopol des Staates, machten die örtliche Roma-Siedlung zu einem abgesperrten Ghetto. Die Regierung handelte erst gar nicht und später dann vor allem durch Beschönigungen. Die Bevölkerung der Gemeinde wählte im Anschluss einen Neofaschisten der Jobbik zum Bürgermeister.

Am Beispiel Gyöngyöspata, aber auch anderen Orten wie Érpatak, führt der Lehrer und Soziologe Kallai Erschreckendes auf: Es gibt eine verschärfte Segregation von Roma-Schulkindern; ein neues, öffentliches Beschäftigungsprogramm wird „gegen die Menschenwürde“ umgesetzt; Bewohner werden für kleinste Vergehen mit horrenden Geldstrafen belegt, ohne das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Seine mit einem parlamentarischen Mandat ausgestattete Arbeit wurde zudem vom Bürgermeister von Gyöngyöspata behindert.

Roma bekommen sinnlose Tätigkeiten zugeteilt

Besonders ausführlich geht er auf die Umstände und Umsetzung des öffentlichen Beschäftigungsprogrammes ein, das erst in diesem Jahr so richtig landesweit anrollen wird und wozu in Gyöngyöspata im Sommer fünf Modellprojekte stattfanden, wohl auch um den Leidensdruck der Betroffenen zu testen. Er weist nach, dass es nicht, wie offiziell beabsichtigt, ein Instrument zur Motivation arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger ist, sich um geregelte Arbeit zu kümmern und dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen. Vielmehr wird es gezielt für rassistisch motivierte Schikanen eingesetzt, an deren Ende der vollständige Entzug der Existenzgrundlage stehen kann, mit dem durchaus gewünschten Ziel der Vertreibung der ungarischen Roma aus den Wohnorten der Mehrheits-Ungarn.

Während man die Roma des Ortes mit sinnlosen, aber anstrengenden körperlichen Tätigkeiten beauftragte, wurden Sozialhilfeempfänger, die keine Roma sind, als deren Aufseher eingesetzt. Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn gibt es im Beschäftigungsprogramm keinen mehr. Kallai warnt vor den Konsequenzen, sollte das Gesetz zukünftig mit all seinen Möglichkeiten angewendet werden, darunter auch der Verschickung an ferne Arbeitsorte mit Übernachtung in Behelfsunterkünften.

Im Gesetz gibt es einen Passus, der die kommunalen Machthaber dazu ermächtigt, Bezieher von Sozialhilfe „Anweisungen bezüglich ihres Lebensumfeldes“ zu erteilen, beispielsweise den Garten und das Haus sauber zu halten. Diese Regelung eröffne, so Kallai, der Willkür Tür und Tor und lade entsprechend motivierte Menschen geradezu zum Missbrauch ein.

Inspektionen durch den Bürgermeister

Kallai berichtet aus Gyöngyöspata von Inspektionen des Bürgermeisters, der in Begleitung von bis zu sechs vermeintlichen Amtspersonen und zwei Polizisten ohne Voranmeldung bei Roma-Familien auftauchte, um „die Umsetzung der Anweisungen, das Wohnumfeld betreffend“ zu kontrollieren. Innen und außen wurden dabei Videoaufnahmen und Vermessungen gemacht, ohne die Bewohner über den Sinn der Maßnahme aufzuklären, geschweige denn ihr Einverständnis einzuholen. Kallai identifizierte einige der „Amtspersonen“ mittlerweile als Beteiligte an den Neonazi-Aufmärschen im Frühjahr 2011.

Anfangs mussten die Arbeiter die vier Kilometer lange Strecke zum Arbeitsort zweimal täglich laufen, erst später wurde ein Bus gestellt, Pausen- oder Toilettenräume waren nicht vorgesehen, die Arbeitsschutzausrüstung war – nach einem Bericht des zuständigen Amtes –  unzureichend, es gab nicht genug zu trinken. Stand nicht genügend Arbeitsgerät zur Verfügung, wurde mit bloßen Händen gearbeitet.

Eines der abscheulichsten Details im Bericht über die Modellprojekte in Gyöngyöspata ist, dass sogar gesundheitlich angeschlagene Menschen, aus Angst, ihre Ansprüche auf Unterstützung zu verlieren, darum „baten“, die Arbeit fortsetzen zu können. Andere wurden mit einer dreijährigen Sperre belegt, weil sie zwischenzeitlich besser bezahlte, wenn auch temporäre Jobs annahmen, also taten, wozu das Programm eigentlich gedacht war.https://6de61b89d12c0095eff597039b18d4f7.safeframe.googlesyndication.com/safeframe/1-0-37/html/container.html

„Angst, Misstrauen, Denunziation, Rassentrennung und erhöhte Polizeipräsenz sind heute Teil des Alltags geworden“, schreibt Kallai über Gyöngyöspata. Die Auswanderung der Roma setze sich weiter fort, der arme Teil der Roma in Ungarn hat mehr als je zuvor das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, ein Zustand, der für eine Demokratie inakzeptabel ist. Das ganze Beschäftigungsgesetz samt seiner Umsetzung sende die „deutliche Message“ an die Roma, dass sie nichts wert seien und sich unterordnen müssten, resümiert der Minderheitenbeauftragte.

Erschienen in der deutschsprachigen, ungarischen Zeitung Pester Lloyd