Seit 2015 gelten die Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer, die Einzelfallprüfung entfällt. Eine Katastrophe für die Romafamilie Marković.

BERLIN taz | Dejan und Soja Marković breiten ihre Dokumente auf dem Tisch aus und fischen die beiden unterschriebenen Arbeitsverträge heraus. „Schauen Sie, wir könnten jederzeit anfangen“, sagt Dejan Marković. Was ihnen fehlt, ist eine Arbeitserlaubnis. „Bitte helfen Sie uns“, sagt Soja Marković zu dem Beamten mit kaum hörbarer Stimme. Unter ihren Augen zeichnen sich dunkle Ränder ab.

Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs schreibt Notizen auf seine Kopien. „Das ist natürlich sehr unglücklich“, sagt er. „Aber ich kann Ihnen leider nichts versprechen.“ Die Chancen auf Erfolg sind gering. Die Härtefallkommission im Berliner Senat ist jetzt die letzte Hoffnung für die Marković. Sie kann bei Vorliegen dringender Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung plädieren.

Und es wird zunehmend dringlich. Die Familie Marković kommt aus Serbien, ihre Duldung läuft nur noch bis März, dann droht die Abschiebung. Sie führen ein Leben in der Schwebe. Nur übergangsweise bekamen sie deswegen die kleine Zweizimmerwohnung in Berlin-Wilmersdorf zugeteilt. Seit November 2015 wohnen sie hier. Im Wohnzimmer befindet sich nur ein kleiner Esstisch, dahinter stehen eine Schlafcouch und ein Bett. Hier schlafen die drei Geschwister Stanisav, Monika und Dragan. Im Fernsehen flimmern die Nachrichten auf n-tv, ein Kommentar zur Flüchtlingskrise. Daneben nadelt ein winziger Tannenbaum.

„Wir würden die Wohnung gern selbst bezahlen. Wenn wir nur arbeiten dürften“, sagt Dejan Marković. Seine Frau Soja hat den Tisch gedeckt, der 22-jährige Sohn Stanisav kommt dazu. Es gibt Kaffee, Cola und Marmorkuchen. Dragan, mit 15 Jahren der jüngste Sohn, besucht seit Februar letzten Jahres eine Willkommensklasse an einem Schöneberger Gymnasium. Etwas eingeschüchtert, im grauen Trainingsanzug, sitzt Monika auf der Schlafcouch. Die 24-Jährige ist geistig behindert. Alle drei Kinder wurden in Deutschland geboren, haben hier die Schule besucht.

IM SCHNELLVERFAHREN

2014 stufte die Bundes­regierung Serbien zusammen mit Bosnien-Herzegowina und Mazedonien als sicheren Herkunftsstaat ein. 2015 kamen Albanien, Kosovo und Montenegro dazu. Dadurch entfällt die Einzelfallprüfung für Balkanflüchtlinge.

Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab es im letzten Jahr etwa 113.00 Erstanträge von Balkanflüchtlingen, das waren 24,7 Prozent aller Erst­anträge. Im Regelfall werden ihre Asylanträge im Schnellverfahren abgelehnt. Laut Pro Asyl liegt ihre Schutzquote bei unter 0,5 Prozent, obwohl ungefähr ein Drittel aller Balkanflüchtlinge Roma sind.

Aus einer Statistik des Bundesinnenministeriums geht hervor, dass es 2015 mehr als 20.000 Abschiebungen gab, fast doppelt so viele wie 2014. Etwa 37.000 Menschen reisten freiwillig aus, 90 Prozent kamen aus Ländernvom westlichen Balkan.

Unbekanntes Serbien

Die Marković sind Roma. 1991 flohen sie vor dem Krieg in Jugoslawien. In Berlin bekamen sie Asyl. 15 Jahre verbrachten sie hier. Dann, 2006, erhält die Familie den Abschiebungsbescheid. Der Krieg ist schließlich zu Ende und Serbien ein sicheres Land – heißt es offiziell. Um den Kindern eine nächtliche Abholaktion zu ersparen, rät man der Familie, freiwillig auszureisen. Soja Marković unterschreibt die Papiere, innerhalb von drei Tagen müssen sie das Land verlassen. Aber schon am nächsten Morgen werden sie von der Bundespolizei geweckt. Ein Flugzeug bringt die ganze Familie zurück nach Serbien.

„Es war schrecklich“, erzählt Stanisav, „alles ging ganz schnell.“ Mit knapp 13 Jahren kommt er in ein Land, das er nur aus Erzählungen kennt, dessen Sprache er kaum beherrscht. In ein Land, in dem Roma nicht als Staatsbürger angesehen werden.

„Das hier ist meine Heimat“, sagt Stani­sav, „ich fühle mich wie ein Deutscher“

Soja Marković kramt ein Foto aus einem Umschlag. Darauf zu sehen ist eine heruntergekommene Blechhütte. Hier hauste die Familie am Rand der Stadt Paraćin, etwa 160 Kilometer südlich von Belgrad. Vom Staat bekamen sie gerade mal 55 Euro Kindergeld für den jüngsten Sohn Dragan. Den Rest hat sich die Familie durch Sammeln von Metall auf der Müllhalde dazuverdient. Als die Mutter mit Monika zum Arzt ging, sagte der nur: „Sie kann doch laufen?“ Eine Behandlung auf Kosten des Staats lehnte er ab. Monika verließ das Haus nicht mehr. Bis heute leidet sie an aggressiven Anfällen.

Auch Stanisav erinnert sich ungern. Noch immer plagen ihn Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Panikattacken. In Serbien wurde er beschimpft, mit Steinen beworfen. Einmal schlug man ihn so übel zusammen, dass er ins Krankenhaus musste. Sein Vater erstattete Anzeige, doch die Polizei wendete die Anzeige gegen die Familie. Sie sollte umgerechnet 450 Euro Strafe zahlen – unmöglich für die Marković. „Ich habe täglich daran gedacht, wieder nach Deutschland zurückzukehren“, sagt Stanisav heute. Aber es sollte noch ganze acht Jahre dauern. Erst dann hatten sie genug Geld für einen Flug gespart. Seit Oktober 2014 ist die Familie wieder in Deutschland.

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Quelle: taz