Die 27-jährige Juristin, Buchautorin und Menschenrechtsaktivistin Anina Ciuciu will bei den französischen Senatswahlen am 28. September im Wahlkreis Seine-Saint-Denis kandidieren. Hat sie Erfolg, wäre dies für Frankreichs Roma eine kleine Sensation: Die aus Rumänien stammende angehende Anwältin wäre die erste Romni im Senat.
Ciuciu hat sich ihren Weg hart erkämpft. 1990 im rumänischen Craoiva geboren kam sie mit ihren Eltern, einem ehemaligen Buchhalter und einer Krankenpflegerin, für die der Zusammenbruch des Kommunismus Arbeitslosigkeit und Armut bedeutete, nach Italien. Vorübergehend lebte die Familie in Roms bekanntem Roma-Camp „Casilino 900“. Als Siebenjährige gelangte Anina Ciuciu dann nach Frankreich. In Bourg-en-Bresse, nordöstlich von Lyon, lebte die Familie in Behelfsunterkünften. Ihre Mutter musste auf der Straße betteln, um die Familie über Wasser zu halten. „Es ist sehr erniedrigend zu betteln. Ich habe meine Mutter fast jede Nacht weinen gesehen. Das hat sich mir für immer eingebrannt. Sie hat das für meine Schwestern und mich gemacht.”
Mit Hilfe einer Lehrerin, die die Familie auf der Straße ansprach, fand die Familie schließlich den Weg aus dem Elend. „Ihr hatten wir es zu verdanken, dass wir die Schule besuchen konnten. Die Gemeinden verlangen für die Einschulung oft die Vorlage von Meldebestätigungen für die Wohnadresse, auch wenn das illegal ist. Die Lehrerin, Jacqueline De La Fontaine, hat uns eine solche gegeben.“ Die vier Kinder konnten so die Schule besuchen und die Familie ihren Aufenthaltsstatus legalisieren. „Es ändert alles, wenn man zur Präfektur geht und dabei von einer Person begleitet wird, die Französisch spricht. Aber der Zugang zu seinen Rechten sollte nicht davon abhängen, dass man einer solchen Person begegnet ist. Das ist Aufgabe der Institutionen.“
Anina war ein brillante Schülerin: „Ich war fest entschlossen zu zeigen, wozu Roma fähig sind. Anfangs war das unbewusst. Und dann hat mich der Spott meiner Schulkameraden weiter bestärkt.“ Nach dem Studium an der Sorbonne wurde Anina Ciuciu nun vor einem Jahr als Anwaltsanwärterin in die Rechtsanwaltskammer von Paris (Barreau de Paris) aufgenommen: „Zuerst wollte ich als Richterin arbeiten, aber deren Aufgabe ist es, das Gesetz durchzusetzen. Was ich hingegen wollte, war, die Schwachen zu verteidigen.“
Eine Haltung, die sich auch in Ciucius zivilgesellschaftlicher Tätigkeit zeigt. Neben ihrem Studium arbeitete sie für die französische Roma-Organisation „La voix des Roms“ und engagierte sich bei „Aset 93“, einer NGO, die sich für freien Bildungszugang einsetzt. Sie ist Mitbegründerin der „Mouvement du 16 mai“ („Bewegung 16. Mai“), die an den Widerstand der Roma und Sinti in Auschwitz-Birkenau am 16. Mai 1944 erinnern will.
Ihr Engagement als Menschenrechtsaktivistin war es auch, das die scheidende Senatorin Aline Archimbaud (EELV) dazu bewog, Anina Ciuciu zu einer Kandidatur zu überreden. Über 150 Personen haben sich Ende Juli in einem öffentlichen Appell für Ciuciu ausgesprochen und die Linksparteien aufgefordert, ihr einen wählbaren Listenplatz zu ermöglichen.
Auch Rumäniens Regierungschef Victor Ponta war auf die junge rumänischstämmige Romni aufmerksam geworden und ernannte sie 2014 zur Beraterin für Roma-Angelegenheiten. Schon nach sechs Monaten aber trat Ciuciu, entschlossen, sich nicht als Feigenblatt-Romni missbrauchen zu lassen, zurück: „Mein Handlungsspielraum war sehr beschränkt.“
(dROMa)