Ungarn: Kämpfer gegen Antiziganismus und Rassismus – Jenö Setet gestorben Von Szilard Kalmar, Budapest 01.02.2022,

Er war ungarischer Staatsbürger, war ein Führer seines Volkes der Roma, gebildet und kämpferisch, aber immer friedlich: In der Nacht zum Dienstag vergangener Woche ist Jenö Setet in Budapest gestorben. Er wurde 50 Jahre alt. In den Jahren vor seinem letzten Geburtstag sprach Setet oft davon, dass in seiner Familie noch kein Mann 50 Jahre alt geworden sei. Er sollte der erste werden, und es ist eine grausame und unbegreifliche Laune des Schicksals, dass das Herz dieses außergewöhnlichen Mannes am Tag nach seinem Geburtstag stehenblieb und nun seine Frau mit den jungen Kindern alleine zurückbleibt.

Es ist schwierig, unsere Trauer auszudrücken, vor allem denjenigen gegenüber, die den »Osten«, einschließlich des »unorthodoxen« Ungarn, von Westeuropa aus beobachten. Ein schiefes Bewusstsein demokratischer Überlegenheit veranlasst viele »Westler«, das diktatorische Regime Viktor Orbans mit allen Ungarn gleichzusetzen. Es ist, als gäbe es uns Einheimische, die Widerstand leisten, nicht. Als hätten Kämpfer wie der Rom Jenö Setet nicht ihr Leben geopfert, um unser Land auf den richtigen Weg zu bringen, raus aus der derzeitigen Sackgasse.

Als ungarischer Rom kämpfte Setet jahrzehntelang gegen alle Formen des gegen sein Volk gerichteten Rassismus. Er erhob sein Wort nicht nur gegen die offen faschistischen Bestrebungen – die Segregation auf staatlicher und kommunaler Ebene sah er als mindestens ebenso gefährlich an. In Ungarn geht es der Mehrheit der Bürgerrechtsaktivisten kaum besser als denjenigen, die vom System aufgrund ihrer Herkunft ins Elend gestoßen werden. Auch Setet hatte diesen Kampf zu führen. Er stammte aus einer Händlerfamilie, traurig sprach er davon, dass er seiner Familie ein Gefühl von Wohlstand und finanzieller Sicherheit hätte geben können, wenn er sich für diese harte, aber zumindest respektierte Arbeit entschieden hätte, anstatt sich für die Interessen der Gemeinschaft einzusetzen.

Er entschied sich dagegen, er kämpfte mit ungeheurem Fleiß und unglaublicher Disziplin für eine edle Sache, aber die Probleme des Alltags wogen schwer. Wir sprachen viel über diese Schwierigkeiten, und ich als linker Aktivist hatte ähnliche Probleme, auch mein unmittelbares Umfeld verstand nicht, warum ich einer scheinbar sinnlosen Sache diente, anstatt mich persönlich zu bereichern. Während ich in einer unbeheizten Wohnung lebte, hatte auch Setet Probleme, für anständige Wohnverhältnisse zu sorgen. Indem er sich selbst überlastete und seinen Körper ausbeutete, konnte er das Geld verdienen, das er zum Leben brauchte. Er tat dies in dem Wissen, dass niemand in seiner Familie 50 Jahre alt geworden war, alle seine Vorfahren waren in jungen Jahren von dem täglichen Kampf ums Überleben zerstört worden.

In Ungarn konnte die Opposition zu Ministerpräsident Orban im Jahr 2019 bei den Kommunalwahlen in vielen Städten gewinnen. Auf der Ebene der Worte respektierten diese oppositionellen Eliten Jenö Setet sehr, in der Praxis hingegen mochten sie ihn nicht, weil der Bürgerrechtler nicht nur das sagte, was sie hören wollten, sondern auch Fakten ansprach, die ihnen unangenehm waren. Zum Beispiel, dass sich die »demokratische« Opposition aus wahltaktischen Gründen mit jener extremen Rechten verbündet hat, die ihre politische Existenz der antiziganistischen Hetze verdankt. Jenö Setet konnte nicht die unterstützen, die jene Serienkiller, die vor anderthalb Jahrzehnten gezielt Roma ermordeten, politisch angestiftet hatten.

Ein Jahr nach dem damaligen Teilsieg der Opposition haben wir das letzte Mal miteinander korrespondiert. Ich fragte ihn, ob er eine wie auch immer vergütete Stelle erhalten habe. Denn als wir uns umschauten, sahen wir, dass viele Menschen von den politischen Veränderungen finanziell profitiert hatten. Es gab Verwaltungsratsmandate, Beratungsfunktionen und eine ganze Reihe neu geschaffener Positionen. Jenö Setet hatte zu diesem Zeitpunkt keine davon, aber er erwartete sie auch nicht. Er hat seine Arbeit mit Integrität und unglaublich moralischem Auftreten ausgeführt. Er fuhr mit einer alten Karre durch das Land, organisierte seine Gemeinschaft und ermutigte die Roma in Ungarn, selbstbewusst und verantwortungsvoll politisch präsent zu sein.

Jenö Setet war kein Linker im marxis­tischen Sinne, und er war sogar ein Kritiker des Ungarns der Kadar-Zeit (1957–1989). Seiner Meinung nach gab es damals zwar eine soziale Integration, aber sie war gewaltsam und führte zu Ungleichheiten – er wollte mehr und Besseres für sein Volk. Doch als die Opposition bei einer der Zwischenwahlen einen Kandidaten unterstützte, der sich zuvor offen rassistisch und antisemitisch geäußert hatte, stand er zu uns und sagte, dass die Roma lieber den Kandidaten der radikalen Linken wählen würden. Sein größter Schmerz war vielleicht, zu spüren und zu sehen, dass es neben dem Rassismus Orbans auch den stillen Rassismus der Opposition im Land gibt, die ihre wiederholten Wahlniederlagen damit erklärt, dass Orban seinen Sieg den Armen, das heißt den Roma, verdanke, deren Stimmen man mit Kartoffeln kaufen könne.

Tausend Probleme und tausend Mühen haben einen riesigen Kämpfer in Ungarn verschlungen. Ruhe in Frieden, Jenö Setet. Ich bitte auch unsere deutschen Genossen, in diesen traurigen Stunden in Liebe an ihn zu denken.

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