Müssen wir 76 Jahre danach immer noch über Auschwitz reden? Unbedingt, findet Andrea von Treuenfeld. Die Journalistin und Autorin liest in Coburg aus ihrem Buch „Leben mit Auschwitz“.
In „Leben mit Auschwitz“ kommt die Enkelgeneration zu Wort, die Kindeskinder von Auschwitz-Überlebenden. Denn diese Generation habe „viel mehr Fragen gestellt“ als die Kinder der Auschwitz-Überlebenden. „Die zweite Generation hat nicht nachgefragt, und die erste schwieg“, sagt Andrea von Treuenfeld. Viele Auschwitz-Überlebende hätten auch aus dem Grund geschwiegen, weil sie es nicht ertragen konnten, als einzige aus ihren Familien überlebt zu haben. Die Kinder spürten zwar, dass es da etwas gab, was ihre Eltern belastete, aber sie wollten sie mit ihren Fragen nicht verletzen. „Die Enkel gehen damit unbefangener um, und die Großeltern wollen am Ende auch deshalb reden, weil ihre Geschichten nicht verloren gehen sollen“, erläutert die Autorin.
Doch auch für die Enkel bedeutet das Wissen um das Leid ihrer Großeltern eine Belastung. „Es war schon manchmal tränenreich“, sagt die Autorin über ihre Gespräche mit den Enkeln. Manche hätten ihre Gesprächszusage auch im Nachhinein zurückgezogen. „Aber diejenigen, die nicht zurückgezogen haben, waren zum Teil unfassbar offen.“ Bei diesen Interviews ging es Andrea von Treuenfeld nicht darum, ob sich die Geschichten der Großeltern auch historisch belegen lassen. Sie wollte wissen, wie die Großeltern das Erlebte weitergaben (oder auch nicht) und was die Enkel dabei empfanden. „Da wurden auch Ängste weitergegeben, zum Beispiel ein ganz grundlegendes Gefühl, nicht sicher zu sein.“
Das Buch enthält in Kurzfassung auch die Geschichte des Lagers Auschwitz und den Umgang damit seit Kriegsende. Diese Chronologie beginnt mit der Hinrichtung des Lagerkommandanten Rudolf Höß 1945 und führt über die großen Auschwitz-Prozesse in den 60er-Jahren und die Ernennung zum Welterbe Ende der 70er-Jahre bis kurz vor 2020. Aber die (Familien-)Geschichten der Enkel bilden den Schwerpunkt.
Diese Enkel zu finden sei das eigentlich Schwierige gewesen, sagt Andrea von Treuenfeld. Es sollten Nachkommen von Auschwitz-Überlebenden sein, nicht die eines anderen Konzentrationslagers. Das führte zu verschlungenen Such-Wegen: Von der Anfrage bei der Stadt Chemnitz, ob der Ehrenbürger Nachfahren hat, bis dann Antwort aus München kam, erzählt sie. „Manches mal wird man auch weiter gereicht.“ Noch schwieriger bis nahezu unmöglich sei es gewesen, Enkel von Sinti und Roma zu finden, die Auschwitz überlebt hatten, berichtet von Treuenfeld. Immerhin eine sei bereit gewesen, mit ihr zu sprechen.
„Die Traumata gehen weiter, bis in die dritte Generation“, sagt Andrea von Treuenfeld. Doch nicht nur deshalb könne es unter die Geschichte der Judenvernichtung und des Naziregimes keinen Schluss-Strich geben. „Wir sind zwar nach dem Krieg geboren und tragen keine Schuld. Aber wir haben die Verantwortung, das weiter zu tragen. Es ging von Deutschland aus! Diese Ereignisse, das alles ist so unvorstellbar, dass es immer wieder erzählt werden muss, um eine Wiederholung zu verhindern.“ Nicht nur die Leidensgeschichten, übrigens, wie von Treuenfeld betont. Auch die guten.
https://www.infranken.de/lk/coburg/wenn-auschwitz-die-familie-praegt-art-5308552