KOMMENTAR:

„Ein klarer Fall von Antiziganismus. Es geht nicht in die Köpfe das wir keine Täter sind. Ähnlich verhielt sich die Polizei in Köln als die NSU die Polizistin erschoss. Es wurde Jahrelang in Kölner Roma kreisen ermittelt. Jetzt kommt jede Straftat von Flüchtlingen in die Zeitung. Berichtet doch lieber mehr über die Rechten Terroristen und über die vielen Tausend Kinderschänder in diesem Land.“

Marko D. Knudsen

ARTIKEL:

Die Berliner Polizei hat aus dem NSU-Skandal nichts gelernt: Im Fall des verschwundenen Flüchtlingsjungen Mohamed konzentrierten sich die Beamten auf dessen Familie – statt ergebnisoffen zu ermitteln.

Ein Kind verschwindet, mitten in einer Großstadt. Doch statt mit allen Kräften nach dem Vierjährigen zu suchen, ermittelt die Polizei vor allem gegen seine Familie. Die Beamten vermuten einen Streit unter Angehörigen oder sogar eine vorgetäuschte Entführung.

Die Gründe für den Verdacht: Die Mutter des verschwundenen Kindes ist den Beamten suspekt, sie wirkt emotionslos und macht falsche Angaben zu Uhrzeit und Ort des Verschwindens. Ach, und sie ist Flüchtling, ihr und ihren drei Kindern droht die Abschiebung. Ihr Freund ist Rom und war schon mal in Haft.

In welchem Land diese Geschichte spielt? In Deutschland, mitten in Berlin. Der verschwundene Junge heißt Mohamed und wurde von Silvio S., der auch den sechsjährigen Elias aus Potsdam entführte, missbraucht und getötet. Von einem Deutschen, der mit Mohameds Familie nichts zu tun hatte.

Fahndung zweiter Klasse für Migranten: So etwas gibt es in Deutschland auch nach Aufdeckung des NSU noch. Nach vier Jahren Diskussionen und Aufklärungsarbeit, nach Untersuchungsausschüssen und unzähligen Gelöbnissen, es künftig besser zu machen. Der Generalverdacht gegen Migranten bei einigen Ermittlern, er ist nicht aus der Welt zu schaffen.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Sicher muss auch gegen Flüchtlingsfamilien ermittelt werden, alle möglichen Motive müssen überprüft werden. Und ja, Mohameds Mutter hat es der Polizei mit ihrem Aussageverhalten nicht leicht gemacht. Und ja, ihr Lebensgefährte war polizeibekannt und ist nicht die Vertrauenswürdigkeit in Person.

Aber nein, das darf kein Grund sein, nur halbherzig nach einem vermissten Kind zu suchen, egal, woher es kommt. Gerade die ersten Stunden nach dem Verschwinden sind wichtig: Die meisten Kinder, die nach einer Entführung Opfer sexuellen Missbrauchs werden, überleben den ersten Tag nicht. Deswegen muss in alle Richtungen ermittelt werden, so schnell und intensiv wie möglich. Das sagen auch die Polizeidienstvorschriften.

Umso erschreckender ist es, wenn die Beamten bereits am Tag nach dem Verschwinden urteilen, dass „nicht zweifelsfrei“ festzulegen sei, „ob es sich tatsächlich um einen Vermisstenfall oder vielmehr um Familienstreitigkeiten handelte“, wie es in den Akten steht. Nicht zweifelsfrei? Der Berliner Polizei reichte das, um die Ermittlungen einzustellen, zwei Tage lang.

Erst als sie – nach sechs Tagen – Videomaterial finden, auf dem Mohamed an der Hand eines fremden Mannes das Gelände des Lageso verlässt, wo seine Mutter ihn aus den Augen verlor, wird die Fahndung nach einem fremden Täter intensiviert.

Doch auch dann wird immer noch nicht in alle Richtungen geschaut. Die Polizei ermittelt weiter gegen die Mutter und ihren Freund, außerdem wird der leibliche Vater von Mohamed verdächtigt, der lebt im Kosovo. Die Videoaufnahmen, die schließlich zum Täter führen, finden die Ermittler dafür erst nach 20 Tagen, obwohl die Kamera nur rund 700 Meter vom Tatort entfernt ist. Dann liegen sie fünf Tage herum, bis sie endlich ausgewertet werden.

Sind das noch Ermittlungspannen oder ist das Ermittlungsversagen?

Das hat doch nichts mit der Herkunft der Familie zu tun, die Eltern seien nun mal unglaubwürdig gewesen, werden einige sagen. Aber es hat sehr wohl mit der Herkunft zu tun.

Denn auch andere Eltern wirken unglaubwürdig, machen falsche Angaben, reagieren kühl. So wie Elias‘ Eltern. Dennoch suchten Hunderte Polizisten mithilfe von Hunden, mit einem Hubschrauber und einem Bagger nach ihrem Sohn, wochenlang, ohne Unterbrechung. Und ermittelten parallel gegen die Eltern, nicht stattdessen.

So hätte es auch im Fall Mohamed laufen müssen. Oder haben wir nichts aus den Erfahrungen mit dem NSU gelernt?

Quelle: Spiegel