Zwei Gerichtsurteile vom Juli: Die Jobbik-Bürgerwehr „Schönere Zukunft“, Nachfolgeorganisation der verbotenen Ungarischen Garde, ist eine unpolitische, gemeinnützige, zivile Organisation zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und wird nicht aufgelöst; Roma, die sich gegen rechtsextreme Angriffe verteidigen, haben nach wie vor mit extremen Haftstrafen zu rechnen. Fatale Signale der Justiz an die ungarische Gesellschaft.
Urteil 1: Jobbik-Bürgerwehr wird nicht aufgelöst
„Nie wieder werden Menschen auf dem Land in merkwürdigen schwarzen Uniformen die Roma-Bevölkerung einschüchtern“, so der ungarische Außenminister Martonyi im Februar diesen Jahres. (Zeit)
Die Staatsanwaltschaft des Komitat Békés hatte beim Gericht von Gyula die Auflösung der Bürgerwehr „Schönere Zukunft“ mit Sitz in Békéscsaba beantragt; mit ihren Aktivitäten in Gyöngyöspata und Hajdúhadház 2011 hätten sie gegen Minderheiten- und Menschenrechte verstoßen. Hintergründe siehe:
- Rechtsextreme “Bürgerwehr” terrorisiert Roma, 13. März 2011
- Polizeistrategie in Hejőszalonta: Jobbik marschiert, Roma solange ins “Ghetto”, 17. April 2011
- Die Presse: Ungarn: Trotz Verbots – Bürgerwehr marschiert weiter14.04.2011
- Pester Lloyd: Ungarn: „Bürgerwehr“ ignoriert Minister-Weisung, Richter: keine Rechtsbrüche, 17.04.2011
Das Gericht von Gyula wies den Antrag am Mittwoch ab.
Richterin Erika Mucsi begründete dies damit, dass die Anklage nicht eindeutig beweisen könne, dass die Aktivitäten der Bürgerwehr in Gyöngyöspata und Hajdúhadház im März und April 2011 gegen die Verfassung verstoßen bzw. die in internationalen Abkommen festgelegten Verpflichtungen Ungarns verletzt hätten.
Das Gericht argumentierte, dass es in der Tat zu Gesetzesverstößen gekommen sei, jedoch nicht eindeutig bewiesen werden könne, dass Mitglieder der Bürgerwehr „Schönere Zukunft“ diese begangen hätten. Außer ihr seien auch andere rechtsextreme Gruppierungen – Véderő, Csendőrség und Betyársereg – vor Ort gewesen, und die Staatsanwaltschaft von Békés, die Menschenrechtsorganisationen, das Rote Kreuz und die Presse hätten die diversen paramilitärischen Gruppierungen und ihre Mitglieder nicht voneinander unterscheiden können. (Magyar Narancs)
Die Richterin verwies auf die Vereinsstatuten der Bürgerwehr, die als Ziel die „Steigerung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung“ aufführt; der Verein sei nicht politisch tätig und erhalte keine finanzielle Unterstützung von politischen Parteien. Zwar sichere er Veranstaltungen von Jobbik, aber dabei handle es sich nicht um einen Gesetzesverstoss. Die Richterin stellte fest, dass die Anklage keine Beweise vorgelegt habe, die die Auflösung des Vereins begründe. (Békés Online)
(beol.hu)
Jobbik hat das Urteil begrüßt und fordert nun die Abschaffung des Paragraphen gegen „Verbrechen in Uniform“.
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Die Jobbik-Bürgerwehr ist eine Neugründung der verbotenen Ungarischen Garde, gegründet im April 2010 vom ehemaligen Gardekommandanten im Komitat Békés, Attila László, siehe Post Verbotene Garde wird zur legalen Bürgerwehr, 23. Juni 2010.
(Attila László; links Andrea Borbély vom Jobbik-Rechtshilfedienst, die Anwältin der Gardisten und der Bürgerwehr. (Bild: magyarnarancs/MTI)
Die Strategie der Jobbik-Anwälte, die rechtsextreme, paramilitärische Ungarische Garde und ihre Nachfolgeorganisation, die Bürgerwehr „Schönere Zukunft“ als zivile Organisationen darzustellen, die sich ehrenamtlich für die öffentliche Sicherheit engagieren (siehe Post), ist hiermit aufgegangen, die Richterin hat dies durch ihr Urteil bestätigt.
Urteil 2: „Rassistische Gewalt“: Hohe Haftstrafen für Roma
Rassistisch motivierte Verbrechen werden in Ungarn als „Gewalt gegen eine Gemeinschaft“ sanktioniert, der Begriff bezieht sich auf ethnische Minderheiten, aber auch auf Homosexuelle im Sinn von „community“. Das Strafmaß ist bedeutend höher als bei Körperverletzung und Landfriedensbruch.
Im Herbst 2010 kam der Paragraph in Ungarn erstmals zur Anwendung: In Miskolc wurden elf Roma wegen rassistisch motivierter Gewalt gegen Magyaren zu insgesamt über 41 Jahren Haft verurteilt. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehnachrichten redeten von einen Präzedenzfall.
Im März 2009, zwei Wochen nach dem Mord von Tatárszentgyörgy, hatten die Bewohner eines von Roma bewohnten Viertels von Miskolc von der Polizei die Information bekommen, daß bei ihnen in der Nacht mit Übergriffen der Ungarischen Garde oder Skinheads zu rechnen sei.
Als nachts um 1.30 ein fremder Wagen mit getönten Scheiben im Schrittempo in ihr Viertel kam, griff eine Gruppe Anwohner ihn an, schlug die Windschutzscheibe ein und bewarf ihn mit Steinen. Es entstand Sachschaden von etwa 104.000 HUF; die drei Insassen, einer von ihnen nachweislich Skinhead, wurden leicht verletzt; im Wagen fand sich ein Kanister Benzin. (tasz, s.u.)
Die elf Männer wurden wegen “rassistisch motivierter Gewalt” zu insgesamt über 41 Jahren Gefängnis verurteilt. Richterin Laura Répássyné Németh sagte in ihrer Begründung, der Übergriff sei klar gegen eine Gruppe von Angehörigen der ungarischen/magyarischen Bevölkerung und die ungarische Nation gerichtet gewesen.
Das Corpus Delicti war ein Stock, den man in der Nähe des Vorfalls gefunden hatte, auf dem „Tod den Magyaren“ stand. Er war bei dem Angriff offenbar nicht benutzt worden (tasz). Siehe Post: Erstes Urteil wegen rassistischer Gewalt: Hohe Haftstrafen für Roma, 11.11.2010
Beide Parteien gingen in Berufung.
Anfang Juli reduzierte das Gericht von Miskolc das Strafmaß in zweiter Instanz von 41 auf 34 Jahre.