Vor einem halben Jahr besetzten sie die Hauptkirche. Die Kirche nahm sich ihrer an, doch nun sollen sie nach Serbien zurückkehren.

Hamburg.  Hoffnungsvolle Gesichter sehen anders aus. Denn für die sechsköpfige Roma-Familie Petkovic, eine der neun Familien, die im September des vergangenen Jahres den Michel „besetzt“ hatten und die zurzeit in einer Liegenschaft des Evangelischen Kirchenkreises Hamburg-Ost wohnt, tickt die Uhr. Sollte sie zwölf schlagen, müsste sie Deutschland sofort in Richtung Serbien verlassen. Von dort kamen die Petkovics vor etwa einem Jahr hierher – genauer, sie kamen aus Bor, einer 35.000-Einwohner-Stadt, etwa 150 Kilometer südöstlich von Belgrad, nicht weit von der rumänisch-serbischen Grenze. Die Petkovics waren nicht allein: Mit ihnen flüchteten viele Tausend Roma vom Balkan. Doch die Hoffnung auf ein besseres Leben ist bei nahezu 100 Prozent dieser Menschen spätestens mit der Verschärfung des Asylgesetzes am 3. Februar dieses Jahres der beklemmenden Aussicht auf Erfolglosigkeit gewichen.

Wenn die Familien bleiben dürften, hätte das Signalwirkung für andere Verfahren

Denn mit der neuen Definition des Asylpakets II, die sich aus Paragraf 29a Asylgesetz und dem Artikel 16a Grundgesetz zusammensetzt, haben geflüchtete Roma wie die Petkovics hierzulande praktisch keine Chance auf Asyl, da ihre Herkunftsländer inzwischen als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft wurden. Zurzeit stehen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Mazedonien, Senegal und Serbien sowie Albanien, Montenegro und Kosovo auf der Liste.

„Aber kein Mensch flüchtet freiwillig“, sagt Theo Christiansen, der die Unterbringung und Spendenverteilung für die rund 45 Hausgäste des Kirchenkreises koordiniert. Er und ein Dolmetscher sitzen gemeinsam mit den Petkovics am großen ovalen Esstisch in der guten Stube des spartanisch eingerichteten Backstein-Reihenhäuschens, um seinen Schützlingen die prekäre Situation noch einmal zu erläutern und sich weitere Schachzüge gegen die bevorstehende Abschiebung zu überlegen.

„Es wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem sicheren Herkunftsland nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird“, zitiert Theo Christiansen aus dem Abschiebeverfahren. „Besteht also keine belegbare Ausnahme, können die Behörden den Asylantrag als ‚offensichtlich unbegründet‘ ablehnen. Zeitaufwendige Beweiserhebungen entfallen.“

Miodrag Petkovic, 51, kann darüber nur spöttisch lächeln. „Rechte?“, sagt er, „die gibt’s für uns Roma in Serbien schon mal gar nicht. Wir werden dauernd schikaniert, besonders von der Polizei. Immer sind es wir Roma gewesen, ganz gleich, was passiert ist. Und wenn wir Brot kaufen wollen, gibt uns der Bäcker niemals das frische Brot vom gleichen Tag.“ Er habe mal ein paar Tage im Gefängnis gesessen, bloß, weil er gegen einen Mann Anzeige erstattet hatte, der seine Frau Suzana überfallen und fast totgeschlagen hatte.

Miodrag deutet auf seine vier Söhne, Leone, 20, Bos, 18, Leonardo, 16, und den jüngsten, den zehnjährigen Giuliano, der nun, leicht gelangweilt vom Gespräch der Erwachsenen, vor den Fernseher abgewandert ist. „Es sind brave Jungs“, sagt Miodrag stolz, „sie gehen zur Schule und machen eine Ausbildung.“ Leone will Bäcker werden, Bos interessiert sich fürs Restaurantfach. Beide sprechen inzwischen ganz gut Deutsch, beide haben sogar eine Freundin. Es sind deutsche Mädchen, aber es ist natürlich nur ein Zufall, dass beide Chantal heißen.

„Die Disziplin der Petkovic-Kinder ist wirklich bemerkenswert“, wirft Theo Christiansen ein, „es gibt keinerlei Beschwerden – wir hören nur Gutes über sie.“ Der Kirchenkreis Hamburg-Ost fordert, dass Angehörigen der Roma so lange das Recht auf einen Aufenthalt in Deutschland gewährt werden muss, bis sie in ihren Heimatländern als Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten anerkannt sind und das durch staatliches Handeln gewährleistet wird.

Doch weil eben genau das nicht geschehe, weder in Serbien noch sonstwo in Ost- und Südosteuropa, veranstaltet der Kirchenkreis am heutigen Montag von 19 Uhr an in der Hauptkirche St. Katharinen einen weiteren Informationsabend, der über die Situation der Roma in den Herkunftsländern Auskunft gibt. Mit dabei sein werden der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, Bernd Mesovic von Pro Asyl, die Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler (SPD) und die Juristin und Menschenrechtsaktivistin Tijana Joksić sein. Sie hat Roma-Lager und -Gettos auf dem Balkan besucht und will „über die bedrohliche und verzweifelte Lage dieses Volkes berichten“.

Es geht dabei jedoch um vielmehr als um die Schicksale der Petkovics und der anderen „Michel-Besetzer“. Denn wenn diese insgesamt neun Familien als Flüchtlinge anerkannt werden, könnte das eine bundesweite Signalwirkung für alle Asylbewerberverfahren haben. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen – in Hamburg vor allem „Fluchtpunkt“ – und viele Einzelne engagieren sich ja schon seit Längerem dafür, dass die Situation der Roma asylrechtlich anders bewertet wird.

Für die Petkovics besteht noch eine weitere, wenn auch kleine Hoffnung: „Meine Frau Suzana“, sagt Miodrag, „hat schließlich deutsche Vorfahren. Ihr Großvater hieß Franz, ihr Urgroßvater Rudolf Simonet. Beide stammten aus der Gegend um Stuttgart.“