31.12.2021

Bayerisches Landeskriminalamt arbeitet sogenannte Landfahrerstelle auf. Ein Gespräch mit Romani Rose

Mitte Dezember haben Sie auf einer Pressekonferenz des Bayerischen Landeskriminalamtes in München eine dort vorgestellte Forschungsarbeit über die 1965 aufgelöste »Landfahrerstelle« kritisch beleuchtet. Was war das für eine Einrichtung?

Die Landfahrerzentrale hieß bis 1951 noch »Zigeunerpolizei«. Das war die Bezeichnung aus dem Dritten Reich, als ihre Aufgabe die Erfassung und Deportation von Sinti und Roma war. In der Landfahrerzentrale saßen dann Beamte, die früher SS- oder SA-Uniform getragen und nach dem Krieg mit den Unterlagen des Reichssicherheitshauptamtes ihren Dienst wieder aufgenommen hatten. Man kümmerte sich weiter um die Erfassung und Kriminalisierung der Minderheit. Diese Beamten wussten, dass man gegen sie wegen ihrer Beteiligung an Deportationen in Konzentrationslager ermitteln würde. Durch die weitere Kriminalisierung von Sinti und Roma versuchten sie sich selbst zu entlasten. Später wurden Entschädigungsanträge von den Behörden der Bundesländer an die Landfahrerzentrale weitergeleitet. Dort rechtfertigten die Beamten ihre früheren Handlungen wie die Überweisung in Konzentrations- und Vernichtungslager als kriminalpräventive Maßnahmen. Ihre Stellungnahmen hatten nur zum Ziel, dass die ehemaligen Täter sich nach dem Krieg selbst rehabilitieren konnten. Sie hatten wieder die Deutungsmacht über ihre Opfer.

Ist die behördeninterne Aufarbeitung ausreichend, um die staatliche Diskriminierung der Nachkriegszeit zu beleuchten?

Es ist ein wichtiger Beginn, aber eine Aufarbeitung muss über das Jahr 1965 hinausgehen. Wir wissen, dass bei der Umstellung der Datenerfassung von Karteikarten auf Computer die alten Daten übertragen wurden. Mit anderen Synonymen und Kürzeln, wie etwa MEM für »mobile ethnische Minderheit« oder HWAO für »häufig wechselnder Aufenthaltsort«. Damit wurde trotz der deutschen Staatsbürgerschaft wieder auf die Abstammung verwiesen. Um das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder herzustellen, muss jetzt das gesammelte Datenmaterial bei allen Behörden für die Forschung verfügbar gemacht und von unabhängigen Wissenschaftlern historisch aufgearbeitet werden.

Welche Folgen hatte die »rassistische Sondererfassung« von Sinti und Roma?

Vor 1965 war die rassische Erfassung eine wichtige Voraussetzung, um die Minderheit als Ganzes einer ständigen Kontrolle zu unterziehen. So wurden widerrechtliche Kontrollen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit durchgeführt, bei denen etwa Familiendaten erfasst wurden. Die Beamten sind dabei so weit gegangen, selbst die KZ-Nummern, die die Leute in Auschwitz auf den Arm tätowiert bekamen, als Identifizierungsmerkmal in ihre Unterlagen aufzunehmen.

Und wie schaut das heute aus?

Heute gibt es vereinzelt noch solche Kontrollen. So zum Beispiel bei dem NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Da diese auf einem Festplatz erschossen wurde, behauptete die Polizei, es könnte sich um »mobile Täter« handeln. Daraufhin wurden bei der Minderheit sehr umfangreich Daten gesammelt und DNA-Analysen vorgenommen.

Was braucht es, um weiterhin bestehende antiziganistische Vorurteile zu bekämpfen?

Seit der Bürgerrechtsbewegung von 1980 mit dem Hungerstreik in Dachau hat sich vieles zum Positiven entwickelt, etwa bei der Anerkennung des Völkermords. Sinti und Roma wurden neben Dänen, Friesen und Sorben als nationale Minderheit anerkannt. An vielen Orten erinnern Denkmäler an die Verfolgung. Die Landesentschädigungsämter haben versucht, diskriminierende Urteile zu revidieren. Es braucht nun eine verstärkte Aufklärung, dass Sinti und Roma schon seit Jahrhunderten ein Teil dieser Gesellschaft sind. Ihre kulturellen Leistungen etwa in der Klassik oder in bildender Kunst müssen stärker anerkannt werden. Es geht darum, ein anderes Bild zu etablieren und nicht alte Klischees weiter zu tragen, die Grundlage für Verfolgung und Ausgrenzung waren.

https://www.jungewelt.de/artikel/417615.antiziganismus-t%C3%A4ter-rehabilitierten-sich-selbst.html